Gruppenerfahrung oder das Selbstbild im Zerrspiegel

In der Gruppe stehe ich vor interessanter Erkenntnis:

Ich bin dort hineingekommen, weil ich das Gefühl hatte, an mir arbeiten zu müssen, da ich mich nicht genügend wertschätze, weil ich mich nicht genügend wertgeschätzt fühle. Lernen wollte ich, mich besser zu behaupten, mich durchzusetzen, wenn nötig, mit der Faust auf den Tisch zu hauen.

In der Gruppe redete ich zu Beginn meiner Zeit dort offenbar viel, ohne Gefühl, wie mir rückgekoppelt wurde, damit war ich für andere schwer auszuhalten, was wiederrum ich schwer aushalten konnte, da das ja genau mein Defizit ausdrückte. Ich selbst hatte dazu eine ganz andere Wahrnehmung: ich müsse viel reden, mich öffnen, mich der Gruppe zeigen, mich offenbaren, zu allem etwas sagen, ratschlagen, um eine Berechtigung für die Teilnahme und Dasein dort zu haben. Ich lebte einen ganz deutlichen Leistungsgedanken, was aber nie wirklich gut ankam, weil die Gruppe nicht lösungsorientiert, sondern gefühlsorientiert ist. Eine ganz schwere Aufgabe, ein ganz schwer zu verstehender Ansatz, so gänzlich anders, als das Berufsleben.

Gestern machten wir ein kleines Spiel, bei dem wir uns hinter jemanden stellen und sich aus dessen Sicht über einen selbst äußern mussten, so, wie wir uns seiner Sicht vorstellen, wie das Mitglied uns sieht, eine Selbstprojektion aus der Sicht eines anderen, eigentlich eine ganz alltägliche Aufgabe, wie wir sie ständig und häufig am Tag machen. Dabei suchte ich mir K. aus, mit der ich regelmäßig aneinander geraten bin in der Vergangenheit und mutmaßte, sie sieht mich inzwischen ruhiger, weniger einnehmend an, dennoch würde sie sich fragen, nahm ich für sie an, warum ich nun in der letzten Zeit verschlossener sei und schloss, sie könne möglicherweise ärgerlich sein deswegen.

Im Feedback stimmte sie meiner ersten Annahme durchaus zu, ja, ich wäre ruhiger geworden, angenehm, gefühlvoller, das stimme, allerdings sei sie nicht ärgerlich, weil ich plötzlich in eine Stille gefallen bin. Im Übrigen empfände sie mich nicht als still, ich würde zudem jederzeit wieder aus mir herauskommen, sobald es etwas zu erzählen gebe. Und ich habe diese Feststellung doch wohl getroffen, um von ihr die Ermunterung zu bekommen: „ach, nun rede doch mal wieder schon drauf los.“

Nein, so stimmt das nicht. Und ja, interessant, weil die unterschiedlichen Wahrnehmungen so verschieden sind. Kein Wunder, dass es so oft Missverständnisse gibt. Ich sehe für mich meine Chance darin, egal, ob ich viel oder wenig rede, Murks oder mit Sinn und Verstand, ich habe meine Daseinsberechtigung, ohne Leistung, einfach nur, wie ich da bin. Sehr schwer ist das.

Das Problem sind nicht die anderen, das Problem bin ich selbst. Immer kommt es daraus an, was ich aus dem mache, was ich erfahre. So kann es geschehen, dass man immer wieder vor die gleiche Probleme kommt, wie bekannt, obwohl ein Partnerwechsel erfolgte, wie bei einem anderen in der Gruppe, der sagte ich bin mit meiner neuen Partnerin genau wieder da, wo ich mit meiner geschiedenen Frau war.

Ich muss allenthalben für mich die Verantwortung übernehmen, sobald ich mich nicht mehr wohlfühle und nicht für andere. Dann werde ich nicht umhin kommen zu handeln, mich für mich zu äußern. Leider beginnt damit die Schnittstelle zu anderen Menschen berührt zu werden, die ich zu oft zurückgenommen habe, weil ich nicht wehtun wollte, nicht enttäuschen wollte, aus Verlustängsten, mich dabei verwässert habe, für andere nicht mehr klar war und damit alles noch problematischer wurde. Wenn es eben nicht geht, dann geht es eben nicht, auch wenn andere es nicht verstehen können. Weil es ja tatsächlich mir zuviel wird, ich keine Lust auf etwas habe, mich lösen muss, weil es nicht anders geht.

Ein Wort noch zu der Gruppe: Der Ansatz des „Einfach-da-sein-Dürfens“ erscheint mir für die Welt da draußen nicht praktikabel, weil alle Welt lösungsorientiert denkt. Jeder muss seine Rolle und seine Aufgaben erfüllen, darf eben nicht nur einfach nur da sein, der Chef würde es sanktionieren, der Ehepartner und die Freunde ebenfalls. Vielleicht habe ich es auch noch nicht richtig verstanden. Ich werde sehen.

6 Antworten zu “Gruppenerfahrung oder das Selbstbild im Zerrspiegel

  1. Lieber Notos,
    ich habe da mal eine buchempfhelung, vielleicht ist da ja was für dich:
    Mindfuck – warum wir uns selbst sabotieren v. Petra Bock

    Schönes WE u nd herzliche Grüße
    sk

    • Liebe Sweetkoffie, danke für den Tipp, das Youtube Video dazu ist schon mal sehr einladend, die Frau macht einen lebendigen Eindruck.
      Grüße
      Notos

      • Finde ich auch und auch ich weiß inzwischen, wo ich mir selber ständig ins Knie schieße.
        P. Bock bringt jetzt im August zum Thema noch ein Coaching Buch raus, das schaue ich mir auf alle Fälle mal an.
        LG

        • Bücher lesen hin oder her, die reflexartige Reaktion auf derartige Impulse lässt mich erschauern. Mühselige Arbeit ist das, mir das in Knieschießen auszutreiben. Immer wieder bewusst machen, ja da hilft auch lesen.

  2. Das Wesentliche am „einfach da sein“ ist aus meiner Sicht: sich selbst und die jeweiligen Stimmungen, Gedanken, Gefühle, etc. nicht fortwährend zu bewerten und „aus der Sicht anderer“ taktisch zu überformen, sondern es bei der Beobachtung zu belassen. „Hier stehe ich und kann nicht anders“ ist (für mich) eine passende Metapher dafür. Es existiert kein „mögliches Duplikat“ meiner selbst, das so wäre, wie es irgendwelche anderen gerne hätten.
    Natürlich wünscht jeder Mensch Anerkennung und Wertschätzung. Aber für was? Doch nicht für eine „Kunstfigur“, die man wie ein Schauspieler nur darstellt, aber nicht wirklich ist. Das wäre Anstrenung für NICHTS, denn die Anerkennung gälte der Rolle, nicht dem wirklichen Ich.

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